Schützenbruderschaft

Festschrift 1961 - Seite 4

Einiges aus der Geschichte der Gemeinde Thüle

Vor dem 30jährigen Krieg gab es auf dem heutigen Gebiet der Gemeinde Thüle zwei getrennte Ansiedlungen, Westthüle und Ostthüle. Westthüle lag in der Gegend der Kirche und des heutigen Kettelerschen Hofes. Ostthüle war eine Ansiedlung im Mühlenbruch und bestand nur aus folgenden sieben Bauernhöfen: Sonntag, Hölscher, Jüttemeier, Kesseler, Gees und dem etwas abseits gelegenen Stümmeler. Diese sieben stellten ein eigenes kleines Gemeinwesen dar mit vielleicht sogar einem eigenen Friedhof auf dem sogenannten Steinbrink.

Daß sich eine solche kleine abseits gelegene Siedlung in den recht kriegerischen Zeiten des 16. und beginnenden 17.Jahrhunderts überhaupt halten konnte, mag an den dichten Wäldern liegen, von denen ganz Thüle bis weit in das 19. Jahrhundert hinein umgeben war. Wer nach Thüle wollte, mußte entweder durch diese Wälder oder aus der Richtung Boke und Verne durch eine wilde Sumpfgegend kommen. Die meisten Kriegstruppen mögen vorbeigezogen sein, ohne das Dorf überhaupt bemerkt zu haben, zumal ja auch keine bedeutende Fernverbindung durch Thüle führte. Wenn sie schon einmal das Dorf entdeckt hatten, so dürften sie jedoch hier keine Reichtümer vermutet haben, die zu einem Umweg über Thüle angereizt hätten. Deshalb war es wohl nur ein unglücklicher Zufall, daß im 30jährigen Krieg 3 Soldaten des schwedischen Generals Knyphausen, der Salzkotten belagerte, von ihrer Jagd- und Fischleidenschaft getrieben, bis nach Ostthüle in das Mühlenbruch. gelangten.

Mag es nun daran liegen, daß die Ostthüler damals als Hinterwäldler die Gefährlichkeit der schwedischen Truppen noch gar nicht erkannt hatten, oder daran, daß sie sich in ihren Wäldern allzu sicher fühlten, jedenfcills.hielten sie sich nicht, wie es eigentlich geboten gewesen wäre, gegenüber den dreien zurück. Vielmehr gerieten Kesseler und Gees mit ihnen in Streit und erschlugen zwei. Auf die Nachricht hiervon zog der schwedische General mit einer Abteilung seiner Truppen nach Thüle. Unter der Laurentiuslinde, die noch bis 1955 bei dem Laurentiusheiligenhäuschen stand und erst dann wegen Alterssdlwäche beseitigt und durch eine neue Linde ersetzt wurde, verhandelten die Schweden mit den Thülern. Als diese die Stellung von zwei Ersatzleuten und auch die Zahlung von 400 Tälern ablehnten, steckten die Schweden kurzerhand ganz Thüle in Brand. Es blieben nur die massive Kirche und Lürsekens Speicher stehen. Nach dieser Katastrophe siedelten sich alle Thüler geschlossen in Westthüle an.

Das ist die Geburtsstunde der einheitlichen Gemeinde Thüle. Die ursprüngliche Teilung in Ost- und Westthüle hat sich allerdings mit den Begriffen Westend und Ostend bis auf den heutigen Tag im Bewußtsein der Bevölkerung erhalten. Diese Einteilung des Dorfes, die durch die Chaussee Salzkotten-Boke als Markierungslinie bestimmt wird, hat aber heute nur noch Bedeutung für Kinderspiele, bei denen zwei Parteien auftreten müssen, allenfalls, wenn in der Gemeinde für irgendwelche Zwecke mehrere Bezirke gebildet werden müssen. Das Dorf scheint nach diesem Überfall in de nächsten 1 1/2 Jahrhunderten nichts Ähnliches erlebt zu haben. Wenigstens wird davon nichts berichtet. Der Gemeinde mögen wohl Kontributionen und Abgaben auferlegt worden sein. Die Kriegshorden selbst sind wahrscheinlich vorbeigezogen, zumal die damaligen Heere noch redet klein waren.

Das wurde anders, als in der napoleonischen Zeit die großen Volksheere aufkamen. Thüle hatte zunächst an die Preußen, dann an die Franzosen und zum Schluß wieder an die Preußen und deren Verbündete, die Russen, ungeheuer viel an Abgaben zu leisten. Als nach acht Jahren endlich die Franzosen abzogen, kamen als "Befreier" die Russen, die, wie die Gemeindechronik berichtet, alles requirierten, mit Gewalt erpreßten und wegnahmen. Nach der mündlichen Überlieferung mußte das Vieh, um nur einiges zu retten, in die dichten Waldungen des Haslei getrieben werden. Dorthin flüchteten auch die Frauen. In dieser Zeit wurde das Dorf auch von einer Fieberepedemie heimgesucht. Ihr fielen allein in den Monaten November 1807 bis Februar 1808 24 und von August bis Dezember 1811 30 Erwachsene zum Opfer. Wenn man bedenkt" daß in diesen Jahren außerdem 18 Thüler Jungen auf den Schlachtfeldern für die damals Mächtigen Europas ihre Haut zum Markte tragen mußten, kann man die Ära der napoleonisdien Kriege nur als eine große Heimsuchung für das kleine damals erst etwa 500 Seelen zählende Dorf ansehen.

Es folgten etwa 50 Friedensjahre mit nur regelmäßigen Einquartierungen des preußischen Militärs. Abgesehen von der Bewirtschaftung der Lebensgüter des deutschen Volkes im 1. und 2. Weltkrieg wurde Thüle durch die späteren Kriege nicht direkt betroffen. Daß die Bevölkerung trotzdem hart mitgenommen wurde, bezeugen die vielen auf den Tafeln des Ehrenmales eingeschriebenen Namen. Der Einmarsch der Amerikaner 1945 brachte dem Dorf keinen weiteren Nachteil. Die Gemeinde Thüle gehörte zunächst zum Fürstbistum Paderborn und zwar zum Amt Boke, dem ein Amtsvogt vorstand, der gleichzeitig Gerichtsbeamter war. Als in Durchführung des Reichsdeputationshauptschlusses vom Jahre 1803 die deutschen Fürstbistümer beseitigt wurden, fiel Paderborn und mit ihm Thüle an Preußen. Dieses löste 1804 das Amt Boke auf und richtete dafür das Justizamt Neubaus ein. Der letzte Fürstbischöfliche Amtsvogt in Boke war Franz Meyer aus Paderborn. Leiter des Justizamtes Neubaus wurde Hofkammerrat Langen.

Unter der Herrschaft des von Napoleon eingerichteten Königreiches Westfalen kam Thüle zum Canton Salzkotten. Die Preußen richteten dann den Kreis Büren und später das zu ihm gehörige Amt Salzkotten-Boke ein. Da Thüle nun zu Preußen gehörte, kam ihm auch die dort infolge der Anregungen des Freiherrn von Stein aufkommende Selbstverwaltung der Gemeinden zu Gute. An der Spitze der Gemeinde stehen die Gemeinderäte mit ihrem Bürgermeister, der sich allerdings lange Zeit Vorsteher und ganz früher anscheinend Ortsbeamte nannte. Im Übrigen hat die Thüler Gemeindeverfassung immer den in Preußen und später den in Nordrhein-Westfalen geltenden Gemeindeordnungen entsprochen. Da die Bevölkerung des Dorfes aber durchweg katholisch war, haben die katholischen Pfarrer naturgemäß immer einen großen Einfluß auf, die Gemeinde ausgeübt. Zu immer größerem Ansehen bei der Bevölkerung des Ortes gelangten im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts aber auch die Thüler Lehrer.

Zunächst ist es mit dem Schulunterricht in Thüle wohl nicht weither gewesen. Denn noch im Jahre 1821 wurden von den Gemeinderäten zwei Unterschriften unter den Jahresbericht der Chronik durch Kreuzzeichen geleistet. Erst um 1770 kam der erste Lehrer nach Thüle, der nicht gleizeitig Küster war, Lehrer Wiechers. Aber schon Lehrer Seiters, der um 1800 nach Thüle kam, war wieder gleichzeitig, diesmal aber wohl nur nebenamtlich, Küster. Um dieselbe Zeit wurde das Schulhaus, das südlich von Kückenmeier stand, an diesen verkauft und an der Nordwestecke des Kirchplatzes ein neues errichtet. Wie die Gemeindechronik ausdrücklich berichtet, wurden darin damals Jungen und Mädchen unterrichtet. Auf Lehrer Seiters, der nach der Reifeprüfung am Gymnasium Theodorianum in Paderborn einen Kursus mitgemacht hatte, folgte mit Herrn Hohse der erste auf einem Lehrerseminar, nämlich in Büren, ausgebildete Lehrer. Nach diesem übernahm 1849 Lehrer Plahs die Schule und leitete, sie 45 Jahre lang bis zu seinem Tode 1895, kurz nach seinem 50jährigen Dienstjubiläum. An ihn können sich noch manche alte Leute im Dorf erinnern.

Die Schule nahm unter ihm einen großen Aufschwung, wie schon eine im Jahre 1855 durchgeführte Schulrevision zeigte. Die Zahl der Schüler war derart angestiegen, daß 1872 die zweite und 1891 die dritte Lehrstelle eingerichtet werden mußte. Nebenbei bereitete Lehrer Plahs des Abends noch manchen späteren Lehrer auf das Lehrerseminar vor. Unter ihm wurde auch 1869 südlich der Kirche eine neue Schule erbaut. Die alte Schule übernahm Wigge für 100 Taler als Scheune. 1895 wurde, wohl noch auf Anregung von Lehrer Plahs, ein weiteres Schulgebäude mit zwei Klassen und einer Lehrerwohnung neben der schon stehenden Schule errichtet. Im selben Jahr fielen nach dem Tod von Lehrer Plahs wieder und diesmal endgültig Küster und Lehrerstelle auseinander. 1901 übernahm Lehrer Hilker die Schule. Er begann eine Schulchronik zu schreiben, worin er in zwei Bänden alles, was er über die älteren Zeiten der Gemeinde erfahren hatte, und alles, was sich in seinen langen Dienstjahren ereignete, berichtet. Er wurde 1928 nach Erreichung der Altersgrenze von Lehrer Thiele abgelöst.

Inzwischen war die 4. Lehrstelle eingerichtet und deshalb die Stelle des 1. Lehrers in eine Hauptlehrerstelle umgewandelt worden. Die Lebensgrundlage für die Bevölkerung des Ortes bildete bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich die Landwirtschaft. Wie in den anderen Gemeinden des Paderborner Landes waren auch die Thüler Bauern nicht frei, sondern Jahrhunderte hindurch von verschiedenen Grundherren abhängig. Die wichtigsten für Thüle waren: der Fürstbischof, das Domkapitel, von Fürstenberg und von Alten. Für sie mußten mancherlei Hand- und Spanndienste und auch manche Abgaben geleistet werden. Das wurde erst anders, als im Zuge der vom Freiherrn von Stein in Preußen durchgesetzten Bauembefreiung in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Regulierung der bäuerlichen Betriebe und die Ablösung der Dienste und Lasten erfolgte. Zur gleichen Zeit wurde im Verlauf der sogenannten Gemeindeteilung durch die Rezeße vom 5. 2.1836 und 6. 9.1839 das Gebiet der Gemeinde Thüle gegenüber den Nachbargemeinden Scharmede, Bentfeld, Boke, Heitwinkel, Schwelle, Winkhausen und anderen abgegrenzt.

Danach standen zur Verteilung an die einzelnen Privatleute rund 2500 Morgen der ehemaligen Allmende zur Verfügung. Zunächst folgte nun die Einteilung des Bodens in 9 Klassen und die Abgeltung der Hudegerechtsame der Schafbesitzer je nach der Größe ihrer Schafhaltung durch eine entsprechende Entschädigung in Geld bzw. Land. 51 Morgen wurden sodann von der Aufteilung als gemeinsame Schweinehude ausgenommen und für die Anlage von Wegen und Gräben weitere 35 Morgen. Der Rest wurde an die Thüler Bauern je nach der Meierqualität (Vollmeier, Halbmeier, Viertelmeier usw.) aufgeteilt. Vorweg wurden noch die Thüler Pfarrei als Halbmeier die Küsterei als. Achtelmeier und die Lehrerstelle als Sechzehntelmeier eingestuft. Durch diese Teilung, die am 30.12.1843 durch die Unterschriften der Bauern, von denen rund ein Zehntel durch Kreuze unterschrieben, ihren Abschluß fand, hatten die Thüler, die ja schon zur Zeit der Grundherrschaften zum Teil erheblich mehr Land in Bearbeitung hatten als vergleichbare Bauern in den Nachbargemeinden, ihren Besitz zwar sehr vergrößert.

Aber zunächst drückten sie auch schwere Lasten, die in der Hauptsache durch die Lösung von der grundherrlichen Abhängigkeit entstanden waren. Diese Schwierigkeiten wurden jedoch in den meisten Fällen, vielfach wohl mit Hilfe der in Paderborn errichteten Tilgungskasse, überwunden. Einige sahen sich aber doch gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen. So wanderten 1851 sechs Thüler Familien mit insgesamt 51 Personen nach Amerika aus. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nahm dann die Landwirtschaft in Thüle an dem allgemeinen Aufschwung dieses Wirtschaftszweiges in Deutschland teil. Im 18. Jahrhundert waren noch die Getreideerzeugung und auch die Hanfgewinnung die Hauptsache gewesen. Die Letztere war schon zu Anfang des ,Jahrhunderts durch die aufkommende Textilindustrie bedeutungslos geworden. Jetzt, da man die Bruchlandschaften um Thüle herum urbar machen konnte, woran noch manche heute lebenden Leute mitgeholfen haben, gewann die Weidewirtschaft an Bedeutung. Durch den Anschluß an das Eisenbahnnetz wurde auch eine im größeren Ausmaß betriebene Schweinemast rentabel.

Das Aufkommen neuer Anbaumethoden und die Einführung von Kunst- und Gründünger, wobei Wilderich Freiherr von Ketteler den Thülern manche Anregung gab, machte den Boden für den Bauern überhaupt wertvoller. Das war für die Thüler der Anreiz zu einer regen Rodetätiakeit in der jetzt ja an die einzelnen aufgeteilten ehemaligen Allmende. Dabei verschwand leider bis auf den Glockenpol und einige Reste im Haslei fast der ganze Thüler Wald. Neuanpflanzungen werden aber allzu oft nur mit schnell wachsenden Bäumen und nicht mit der alten Thüler Eiche vorgenommen. Mit der besseren Aufteilung der landwirtschaftlich genutzten Fläche in der Separation 1899 und dem Aufkommen arbeitserleichternder Maschinen hielt dann ganz allmählich auch in Thüle das Zeitalter der Rationalisierung seinen Einzug. Es brachte zwar viele Vorteile, beseitigte aber auch manches liebgewordene Alte. So ist zum Beispiel in Thüle kaum noch ein altes westfälisches Bauernhaus zu finden.

Mit dem weiteren Ausbau des Weges Salzkotten-Boke und vor allem mit dem Bau der Eisenbahnlinie Paderborn-Hamm gab es für die Thüler nun auch Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtsdiaft. Das Bild des zur Arbeit fahrenden oder von ihr kommenden Eisenbahners ist seitdem aus Thüle nicht mehr wegzudenken. Im Zuge der Ansiedlung mehrerer Industriebetriebe in der Nähe wurde die Zahl der Pendler im Ort bis zum 2. Weltkrieg immer größer. Die Erfindung des Fahrrades und der Ausbau der Straßen, von denen die nach Verne und Scharmede aber wohl erst zwischen den Kriegen endgültig hart gemacht wurden, hat diese Entwicklung nur gefördert. Durch Einrichtung einer Hilfspoststelle und zweimaliger Postzustellung 1886 und durch den Anschluß an das Telefonnetz 1887 war überhaupt die Verknüpfung zur Außenwelt enger geworden. Da auch mehrere Handwerks- und Gewerbebetriebe in Thüle ihr Auskommen fanden und die 1883 zur Überbrückung zeitweiliger Kapitalknappheit gegründete Thüler Spar- und Darlehenskasse einen schnellen Aufschwung nahm, konnte Thüle sich in seiner wirtschaftlichen Entwicklung auch schon vor dem letzten Krieg mit seinen Nachbargemeinden durchaus messen.


Haus Syring

Das alte Haus Syring, Thüle 22, erbaut 1708

De Thuilske Buernmakerrigge !

Als im Jahre 1913 der Pfarrer Clemens August Schulte als Pfarrer von Thüle eingeführt wurde, hielt der gebürtige Thüler und geistliche Herr Caspar Strunz die Einführungsrede und sagte unter anderem etwa folgendermaßen: "Mein lieber geistlicher Mitbruder! Die Thüler sind ein eigenes Völkchen. Aber es ist ein gutes Volk, wenn Du verstehst, seine Eigenarten zu respektieren und zu wahren. Schaffe vor allem nichts Altes ab und sei vorsichtig, wenn Du etwas Neues einführst, ob es sich mit dem dörflichen Gemeinschaftssinn in Einklang bringen läßt. Hast Du sie einmal für Dich gewonnen, dann stehen sie unerschütterlich treu und fest zu Dir, und Du kannst auf sie rechnen in guten, aber vor allem auch in schlechten Tagen." Pfarrer Schulte hat das beherzigt, und er ist gut dabei gefahren. Eine solche Eigenart oder vielmehr alte Sitte ist "dät teon Buern maken'. Wie alt diese Sitte ist, kann man nicht mehr nachweisen. Der älteste Einwohner des Dorfes - ein Greis im 90. Lebensjahr, aber noch von außerordentlich geistiger Frichie - über den Ursprung dieser Sitte befragt, gab zur Antwort: "Jäa, dät häwe ick oll ümmer seo kannt un mäihe maket un ak faaken dän Eid affnuhmen."

Dieser alte Brauch, der sich in sämtlichen Nachbargemeinden nicht in gleicher Form vorfindet, geht etwa folgendermaßen vonstatten:

Wenn ein männlicher Thüler Einwohner sich verheiratet hat, und er ist im Dorf seßhaft geworden, dann wird er bei passender Gelegenheit zum Thüler Bauern oder Bürger gemacht. Die Nachbarn, die er sich beim Richtfest oder bei der Hochzeit gewählt und damit als Nachbarn anerkannt hat, sorgen in den meisten Fällen für die Durchführung dieses alten Brauches. Es wird ein Kranz aus Efeu oder anderem Grün gewunden und an den, Kandidaten die Frage gestellt, ob er die Ehre, ein Thüler Bauer oder Bürger zu werden, annimmt. Bejaht er diese Frage, so, wird ihm der Kranz über die Schulter gehängt und der Älteste der versammelten Thüler - der aber selber Thüler Bauer oder Bürger sein muß - nimmt von dem kranzgeschmückten Jungbürger den sogenannten "Eid" ab. Dabei muß der Jungbürger seine rechte Hand auf die Schneide eines Beiles legen und folgende Worte nachsprechen:

"Ick schwaiere, Guod is muin Haiei, Reauk göat döän Sdiuadstoan, hiäs maliäwe seon Damp nit sohan. Wann'e in Lippsken Walle bis un höäst in Thuile de Brandklocken luin, dann mosde leopen. Un wann dou langs goast un süss en Heck uapen stau'n, dann mosse dät teo maken. Un moss Däi seo bedraigen wie'n önneken Thuilsken Buern oder Bürger. Dätt schwaiere ick muin Haiern."

Als Bekräftigung seines Versprechens schlägt nun der neue Thüler Bauer oder Bürger drei kräftige Kerbe mit der Schneide des Beiles in einen Holzbalken am Hause dessen, wo er seinen Eid geleistet hat. Diese Kerbe bleiben als Erinnerung sitzen und werden auch bei Renovierungsarbeiten nicht ausgelöscht.

Der neue Thüler Bürger hat nun aber gegenüber seinen Eidgenossen Verpflichtungen. Er muß sie zunächst mit Speise und Trank ordentlich bewirten. Mancher hat bei diesem Zechgelage die Stärke des Weines nicht erkannt, denn der Gastgeber setzt seine Ehre darin, seine Eidgenossen in jeder Hinsicht satt zu bekommen. Die größte Freude für den neuen Thüler Bürger ist es aber, wenn er am anderen Tage erfährt, wie mühsam sich seine Gäste in vorgerückter Stunde haben heimschleppen müssen. Wie der Teufel Alkohol den Einen oder Anderen in den Dreck geworfen hat, oder manch warmes Bett mit einem Bund Stroh in der Scheune oder im Stall als Lager vertauscht wurde.


Was sich so unter der Vogelstange tut

Da wagten es doch einige junge Frechdachse, stolz über die soeben beendete Dienstzeit in Metz, einen alten Veteranen des Krieges 70/71, der sich trotz hohen Alters und zittriger Hände eifrig am Vogelschießen beteiligte, wegen einiger Fehlschüsse auszulachen. Er drehte sich um, sah sie verächtlich an und rief: "lk häwe Metz erobern holpen, over jiu hät do man in sloupen" ("Ich habe Metz erobern geholfen, aber ihr habt darin nur geschlafen'), sprachs, legte an, traf und wurde Kronenprinz. Doch nicht immer bedurfte es eines Eingreifens der Alten um den Übermut der Jugend zu dämpfen. Zwar ist noch jedes Jahr ein König ermittelt worden. Doch manchmal hielt es recht schwer, den Vogel herunterzubekommen.

Wenn es gar nicht anders gehen wollte, hat man ihn auch wohl schon durch Rütteln "abgeschossen" und sich so einen Rüdelkönig" erkoren. Das ging jedoch einem alten, unter den Fahnen des Kaiserreiches grau gewordenen Recken wider die Ehre. Er holte einen Vorderlader von altehrwürdigem Alter, lud ihn mit Schrot und drückte ab. Doch eine solche Behandlung, noch in ihrem hohen Alter, paßte der alten Kanone nicht. Sie platzte und verletzte den Schützen schwer am, Arm, so daß ein Reiter schleunigst ärztliche Hilfe holen mußte. Der Vogel jedoch ließ sich auch diesmal nur auf eindringliches "Rüdeln' hin dazu bewegen, von seinem hohen Sitz herabzusteigen. Nicht immer war unser Vogel so seßhaft.

Mehr als einen dreisten Schützen, der glaubte ungestraft auf ihn schießen zu dürfen, ist er kurzerhand vor die Füße geflattert. Mancher Junge ist da, erschrocken über die Folgen seiner Tat, schleunigst im nahen Roggenfeld verschwunden und mußte erst von einigen kräftigen und erfahrenen Männern wieder hervorgezogen und an seine Königspflichten erinnert werden. Durch diese Erfahrungen seiner Vorgänger im Amt des Roggenkönigs, in Angst und Schrecken versetzt, machte einer dieser "glücklichen Schützen" erst gar nicht im Roggen halt, sondern stürmte weiter und stürzte kopfüber in den Mühlenkolk, um als "Wasserkönig' wieder aufzutauchen. Hoffentlich gibt es nicht noch einen "Autokönig". Es wäre doch allzu schwer, ihn wieder einzufangen.


Untaten eines Thüler Schützen

Ein baumlanger und bärenstarker Schütze sah vor vielen Jahren vor einem Thüler Wirtshaus das angebundene Pferd des auch für Thüle zuständigen Salzkottener Gendarms. Sei es nun, daß unser Schütze damals einen preußischen Gendarm noch als Angehörigen einer feindlidien Besatzungsmadit ansah, oder sei es, daß er, was wahrscheinlicher ist, überhaupt mit den Gendarmen auf schlechtem Fuß stand, jedenfalls band er das Pferd los und zog ihm einige über, so daß es schleunigst seinen Stall in Salzkotten aufsuchte, wo die Frau des Gendarms bei der Ankunft des reiterlosen Pferdes ihres Mannes in eine Ohnmacht fiel. Als man dies dem Schützen einige Tage später vorwarf und ihm vorhielt, er solle sich doch lieber für das nahe Vogelschießen üben, meinte er, das könne er schon gut genug. Zum Beweis holte er ein Gewehr und schoß auf den Kirchturmshahn.

Wie sollte er aber beweisen, daß er wirklich getroffen hatte? Da sah man durch die Bäume des Haslei den Gendarm heranreifen, der unseren Schützen zur Rechenschaft ziehen wollte. Der aber hob schnell seine Büchse, zielte kurz und schoß den Gendarm ein Stück von seiner Helmspitze ab. Dieser nahm schleunigst Reißaus. Aber auch unserem Schützen wurde in Thüle trotz seiner Schützenkünste der Boden unter den Füßen zu heiß. Er wanderte nach Amerika aus. Dort wurde seinem abenteuerlichen Leben leider durch einen Sturz in den siedenden Kessel einer Bierbrauerei ein Ende gesetzt. Diese und manche andere Taten bzw. Untaten unseres Helden hat man noch vor 15 Jahren in Thüle von den damals ältesten Leuten erzählen hören. Eine zwischen den Kriegen entdeckte Schußspur am Kirchturrnshahn erinnerte noch zu jener Zeit an ihn.


 

Ein Thüler auf Wanderschaft

Der karge Boden und die geringe wirtschaftliche Entwicklung unserer Gegend in früherer Zeit zwang manchen dazu, sein Heil in der Fremde zu suchen. Sehen wir uns deshalb einmal die Abenteuer eines weitgereisten Thüler Bürgers an. 7 Sommer nacheinander wanderte er zum Grasmähen nach Holland in eine Gegend von anderen Sitten und Gebräuchen. Der Genuß von Fleisch war dort auch des Samstags verboten. Unser Landsmann und seine Freunde aus der Heimat waren aber bei ihrer schweren Arbeit froh, wenn sie nach dem kargen Freitagsmahl am anderen Tag dem Speck und dem Schinken tüchtig zusprechen konnten. Das gefiel jedoch dem dortigen Pfarrer ganz und gar nicht und er predigte deshalb:

"At jiu Bovenlander dat Flouschkauten nit sein lotet an de Freidags und an de Sauderdags, un jiu kumt teon stirven, un ik soll jiu de Sünne vergieven, dann lot ik jiu stirven als de Ferkel int Huck.' (Wenn ihr Oberländer das Fleischessen nicht sein laßt an den Freitagen und den Samstagen, und ihr kommt zum Sterben, und ich soll Euch die Sünden vergeben, dann laß ich euch sterben wie die Schweine im Stall.) Fluchen war dort völlig verpönt. Als unser, Landsmann es beim Mähen eines verdrehten Graswirbels doch einmal tat, wurde ihm das von einem Bauern verwiesen. Denn alles Gute komme doch von oben. Dazu meinte unser Freund nur: "Dat Gras kümmt over van unnen her."

Nach Amerika wanderte man zunächst seltener aus. Ein ganz Vorsichtiger hatte seine Familie zurückgelassen mit dem Versprechen, wenn es nichts wäre, wolle er Stephanstag zurück sein. Er war Stephanstag wieder zurück, weil es in Amerika zu gefährlich sei. Als in Deutschland Kriegswirren ausbrachen, dünkte unserem Landsmann und einigen seiner Freunde das Leben in Amerika auch nicht gefährlicher als hier. Man bestieg in Hamburg ein Segelschiff. Nachdem man im Kanal lange gegen Gegenwinde gekreuzt war, auf dem Atlantik eine mehrwöchige Flaute und einen Sturm erlebt und mit Hilfe eines großen Segels einen Schiffsbrand erstickt hatte, gelangte man nach langen Monaten in New Orleans an und fuhr sofort weiter den Mississippi hinauf. Als unser Landsmann in Sankt Luis an Land ging, beide Arme voll Gepäck und im Mund eine schön geschnitzte Pfeife als Erinnerung an die Heimat, nahm ihm diese ein flinker Neger schnell aus dem Mund und verschwand auf Nimmerwiedersehn in der Menschenmenge.

Ähnliche Erfahrungen machten die Freunde, als sie sich des Abends in ihrem Quartier genauso sorglos wie in der Heimat zu Bett gelegt hatten. Am anderen Morgen waren sie arg bestohlen, ja einem fehlte sämtliches Bargeld. In einem kleinen Städtchen mußte unser Landsmann einem Mädchen aus der Heimat, das mit einem anderen Schiff vorausgefahren war, mitteilen, daß ihr Verlobter inzwischen gestorben war und also nicht nachkommen würde. Er versprach der völlig Verzweifelten, sie nach etwa einem Jahr wieder mit in die Heimat zu nehmen. Als er sich ein Jahr im Westen als Viehtreiber und im Norden als Holzfäller und Eisblocksäger versucht hatte und nun das Mädchen abholen wollte, hatte es sich jedoch mit einem Yankee getröstet und verheiratet. Unser Landsmann bestieg deshalb allein in New York als Kolentrimmer einen Dampfer und gelangte diesmal nach einigen Wochen, in denen man allerdings einmal im nördlidien Packeis festgesessen hatte, nach Hamburg und ließ sich für den Rest seines Lebens in Thüle nieder. Am Jubelfest aber wollen wir auch mit Stolz an die Mitbürger denken, die in ihrer fernen neuen Heimat blieben und mithelfen, dort ein neues, starkes und gesundes Staatswesen zu schaffen.


 

Die Geschichte der Gemeinde Thüle nach dem zweiten Weltkrieg

Viele gebürtige Thüler, die zum Jubelfest vielleicht nach Jahren zum ersten Mal wieder in ihre Heimat kommen, werden sehen, daß sich manches verändert hat. Sie werden deshalb wissen wollen, welche Entwicklung das Dorf nach dem zweiten Weltkrieg genommen hat. Nach Kriegsende fand eine Umbesetzung der drei wichtigsten Ämter der Gemeinde statt, das des Pfarrers, des Hauptlehrers und des Bürgermeisters. Auf den 1945 verstorbenen Pastor Schulte folgten Pastor Stökker und etwas später Pastor Holtkamp. Auf Bürgermeister Grundmeier folgten Bürgermeister Heinrich Sonntag und Bürgermeister Josef Rempe. Hauptlehrer Thiele tauschte mit Hauptlehrer Sieland die Stelle, nachdem die Schule zunächst von Lehrer Schwintek verwaltet worden war. Daß eine solche personelle Umbesetzung der auch heute noch für ein Dorf drei wichtigsten Ämter sich im gemeindlichen Leben widerspiegeln mußte, bedarf keiner Begründung. Weit größere und tiefergehende Veränderungen lagen aber in der Zeit selbst begründet. Wenn der Ort auch nicht, wie so viele andere Städte und Dörfer, im Krieg zerstört worden ist -es sind nur ein paar Bomben auf das freie Feld gefallen - und deshalb auch nicht im Zuge eines Wiederaufbaues ein anderes Gesicht erhalten hat, so sind der Krieg, die anschließende Depression und der schließlich einsetzende große wirtschaftliche Aufschwung doch nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Das äußere Erscheinungsbild der Gemeinde ist in der Hauptsache durch den schnellen und steilen Aufschwung der deutschen Wirtschaft bestimmt worden. Dem Gast von auswärts wird als erstes die Verbesserung des Wegenetzes und die ihr zugrunde liegende weit fortgeschrittene Motorisierung der Thüler Bürgerschaft auffallen. Noch vor 14 Jahren konnte Thüle auf holprigen im Krieg vernachlässigten Straßen wegen der vielen Schlaglöcher nur in langsamer Gangart erreicht werden. Heute kann das Dorf von drei Seiten, von Boke, Scharmede und Salzkotten, auf gut ausgebauten Straßen in zügiger Fahrt angefahren werden. Bei der vierten Zufahrtsstraße fehlt es nur noch an einem entsprechenden Übergang über die Heder in Verne. Im Dorf selbst stößt man immer seltener auf einen schlechten Weg. Am meisten dürfte den Gast aber der Ausbau der Hauptfeldwege in Erstaunen versetzen. Sie sind besser ausgebaut und besser befahrbar als die Thüler Chaussee noch vor 15 Jahren.

Dieser großzügige Ausbau des Straßennetzes war nötig, denn die Motorisierung hat in Thüle wohl um mehr als das 20fache zugenommen. Das liegt nicht nur daran, daß infolge des Wirtschaftsaufschwunges mehr Wagen zu privaten Zwecken und von den auswärts Beschäftigten mehr Wagen für die Fahrt zum Arbeitsplatz angeschafft worden sind, sondern vor allem auch an der Mechanisierung der landwirtschaftlichen Betriebe. Wurde vor dem Krieg noch der von Pferden gezogene Binder angestaunt, so besitzen heute schon Kleinstbetriebe einen Trecker. Das Ackern mit Pferden wird mehr und mehr zu einer Ausnahme, wenn das Pferd auch für einige Nebenarbeiten in absehbarer Zeit noch nicht entbehrt werden kann. Der Mähdrescher ist dagegen während der Ernte ein gewohntes Bild geworden. Der Ausbau der Wege war deshalb unbedingt erforderlich, da sie sonst von den Reifen der Trecker und der großen Maschinen immer wieder bis zur Unförmigkeit aufgewühlt würden. Der wirtschaftliche Aufschwung einerseits, hat für recht viele Arbeitsplätze in der Umgebung des Dorfes und auch in einigen Thüler Unternehmen selbst gesorgt. Andererseits hat die Motorisierung einen längeren Weg zum Arbeitsplatz überwindbar gemacht. Aus diesem Grunde konnten sich nicht nur viele Vertriebene in Thüle fest niederlassen, sondern auch die nachgeborenen Kinder der Thüler Bürger brauchen jetzt nicht mehr in eine wirtschaftlich bessergestellte Gegend zu ziehen.

Die Folge hiervon ist, daß die heutige Gemeinde ein ganz anderes Steueraufkommen hat als die rein ländliche vor dem Krieg. Das sind durchaus keine überflüssigen Mittel. Wie der Ausbau des Wegenetzes zeigt, hat nämlich das Zusammenleben von so viel mehr Menschen in Thüle manche teure, neue Gemeindeeinrichtung und manche teure Verbesserung einer schon vorhandenen bewirkt. Es führte und führt noch zu einer regen Bautätigkeit. Überall sind Neubauten zu sehen. Westlich der Ausfahrtstraße nach Salzkotten ist sogar eine geschlossene Siedlung von wohl über 40 Häusern entstanden. Eine solche städtisch anmutende Siedlung hat ihre eigenen Bedürfnisse, andere als die einer rein ländlichen Ansiedlung. Um einer Verschmutzung des Trinkwassers durch Abwässer zu verhindern, wurde es notwendig, eine moderne Kanalisierungsanlage zu schaffen und am Erlenbach, dort wo er das Dorf verläßt, eine Kläranlage anzulegen. In der Folgezeit werden wohl noch andere Teile des Dorfes an das geschaffene Abwässerkanalsystem angeschlossen werden. Die Thüler Schulgebäude erwiesen sich als zu klein und als nicht mehr zeitgemäß. Es wurde deshalb eine neue moderne Schule errichtet. Zur Zeit werden auch neue Lehrerwohnungen gebaut, so da die alten Gebäude auf dem Schulhof wohl im nächsten Jahr abgerissen werden. Hoffen wir, daß Thüle in diesen Gebäuden trotz de augenblicklichen Lehrermangels immer die nötige Anzahl Lehrer hat. Auch den vielen kleinen Bedürfnissen einer modernen menschlichen Gemeinschaft ist Rechnung getragen worden.

Schule

Um bei der großen Anzahl von Gebäuden Feuersbrünsten wirksam begegnen zu können, ist ein neues Spritzenhaus mit einem neuen Löschzug gebaut worden, das vom Thüler Feuerwehrverein in vorbildlicher und aufopfernder Weise betreut wird. Man hat den Friedhof erweitert und dem Wunsch der Bürgerschaft entsprechend die Einrichtung von Familiengruften ermöglicht. Wegen des größeren Verkehrs werden die wichtigsten Stellen im Ort beleuchtet, eine Einrichtung, die man noch weiter ausbauen kann. Eine ebenfalls weiter ausbauwürdige Einrichtung ist der schon seit einigen Jahren eingerichtete Buslinienverkehr zur Außenwelt. Zur Ehre der Gefallenen der Gemeinde Thüle und der hier aufgenommenen Vertriebenen ist unter aufopfernder Kleinarbeit seitens manchen Mitgliedes des Kriegervereins ein neues Kriegerdenkmal errichtet worden. Es ist von der Bürgerschaft in freier Wahl aus drei Entwürfen der des Bildhauers Wiesbrock ausgesucht und mit Hilfe von Spenden in Höhe von 19000,- DM gebaut worden.

Wenn am Tage des Jubelfestes die Mitglieder des Schützenvereins in ihren traditionellen Uniformen mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen an den auf 8 Tafeln eingeschriebenen Namen der Gefallenen vorbeiziehen, werden manche Zuschauer an ihre gefallenen Söhne, Männer, Verlobten, Väter, Brüder und Freunde denken. Ist auch der erste Schmerz längst abgeklungen, so wird doch in manches Herz die Wehmut einziehen und mancher wird sich fragen, ob das Sterben der Lieben überhaupt einen Sinn gehabt hat. Sicher weiß man, daß auch ihr Sterben die heutigen Mächtigen dieser Welt vor einem dritten, Massenmord zurückschrecken läßt, und sicher weiß man, daß es nur eine Ehre ist, wenn Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß jemanden bei der Verwirklichung seiner für uns unfaßbaren Pläne zu sich ruft. Doch ist das ein Trost für die nicht wenigen Väter und Mütter in Thüle, denen man alle Söhne ermordet hat? Nehmen wir anderen an diesem Tag auch in unserer Feststimmung auf ihre Trauer Rücksicht.

Nicht nur die Rationalisierung der Landwirtschaft und der Ausbau der gemeindlichen Einrichtungen hat eine gute Entwicklung genommen, sondern auch das gewerbliche Leben in Thüle ist nicht zu kurz gekommen. Eine neue Gastwirtschaft, ein neuer Kolonialwarenladen und ein moderner Frisiersalon konnten eröffnen. Einige Gewerbebetriebe zeigen schon Tendenzen, sich zu einem Unternehmen auszuweiten, ja einem ist es inzwischen gelungen.

Kasse

All dies hat auch zu einem Aufblühen der Thüler Spar- und Darlehnskasse geführt, die sich im Hause Stupeler neu und modern einrichten konnte.

Nach dem bisher Gesagten könnte man der Meinung sein, nur das äußere Bild der Gemeinde habe sich verändert. Das ist nicht der Fall. Vielmehr ist auch der Charakter der Thüler Bevölkerung bei allem Festhalten am Alten und an traditionellen Einrichtungen und auch das ganze Leben in der Gemeinde mancher Wandlung unterworfen worden. Die unmittelbare Nachbarschaft von Menschen mit halb städtischer Lebensweise erweckt in der bäuerlichen Bevölkerung den Wunsch, manches davon auch in ihrem Leben zu verwirklichen. Dieses und der empfindliche Mangel an billigen landwirtschaftlichen Hilfskräften hat zu einer großen Umwandlung des bäuerlichen Hauses und Hofes geführt. Nicht mehr kleine dunkle Stuben sind dort zu finden. Große Fenster lassen Luft, Licht und Sonnenschein in die modern eingerichteten Häuser einströmen. Einrichtungen der Hygiene und der Körperpflege sind zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Bei allen baulichen Veränderungen und bäuerischen Neubauten wird auf eine rationelle Arbeitsmöglichkeit der größte Wert gelegt. Arbeitssparende Maschinen vom Kühlschrank bis zur Melkmaschine sind nichts Neues mehr. Mit einer neuen Kirchenuhr, einer neuen Orgel, einem modernen Kreuzweg, einem recht praktischen Liedanzeiger und einem neuen Kirchensteuersystem nach Ruhen der Observanz, die die politisch Gemeinde zum Ersetzen des Fehlbetrages im Haushalt der Kirchengemeinde verpflichtete, hat die moderne Lebensweise auch Einzug in unsere Kirche gehalten. Dank der heutigen Arbeitszeitregelung verfügen vor allem die jungen Leute in Thüle über viel Freizeit. Bei dem jetzt halbstädtischen Charakter des Ortes haben aber nur wenige von ihnen Gelegenheit, diese Zeit wie früher nutzbringend in ihrem elterlichen Anwesen zu verwenden. Deshalb kümmern sich manche Thüler Vereine um sie. Versuchen die Gesang-, Musik- und Tambourvereine ihr Verständnis für die leichte Muse zu erwecken, so erhöht die Arbeit in den Taubenvereinen durch die ständig erforderliche Tierpflege ihr Verantwortungsbewußtsein.

Nach der Fertigstellung des neuen Sportplatzes kann auch der Sportverein mit frischem Mut versuchen, die Masse der Jugendlichen von der Rolle eines passiven Zuschauers bei nur ein oder zwei Sportarten zu der eines aktiven Mitspielers, verteilt über mehrere Sportarten, zu bringen, um so manche in ihnen schlummernden Kräfte erwachen zu lassen. Der Schützenverein schließlich, dessen Aufgabe es ist, in den Jugendlichen die Liebe zur Heimat und ihren traditionellen Einrichtungen zu wecken und zu erhalten, dürfte in der Erfüllung dieser seiner vornehmsten Aufgabe durch das diesjährige Jubelfest ein gutes Stück weiter kommen. Mag nun auch die Modernisierung des Lebens in unserem Dorf und das durch die größere Freizeit erheblich angewachsene Vereinswesen einen großen Einfluß auf die äußere Verhaltensweise der Thüler ausüben, eine tiefergehende innere Wandlung der Bürgerschaft ist aber anderen Umständen zuzuschreiben. Während des zweiten Weltkrieges kamen viele Evakuierte nach Thüle und nach dem Kriege noch viel mehr Ostvertriebene, wohl zu 90% aus Schlesien, die hier zu einem sehr großen Teil eine zweite Heimat gefunden haben.

Bestand die Bevölkerung des Ortes vorher nur aus Katholiken, so gibt es heute wohl an die 70 Nichtkatholiken. Hörte man früher bei Festen und ähnlichen Anlässen einer größeren Menschenansammlung durchweg Thüler Platt und nur gelegentlich Hochdeutsch, so ist heute der schlesische Dialekt allen Thülern längst ein bekannter Klang geworden In einem gewissen Ausmaß mögen die Vertriebenen auch an sonstigen Gewohnheiten ihrer Heimat festgehalten haben. Vertriebene wie Einheimische kennen somit nicht mehr nur die Eigenarten ihrer eigenen Volksgruppe. Vielmehr wird ihnen jeden Tag durch das enge Zusammenleben mit anderen Menschen vor Augen geführt, wie vielfältig die Möglichkeiten des menschlichen Lebens doch sind. Das und die durch die weit fortgeschrittene Motorisierung und die sprunghaft angestiegene Zahl der Fernsprech-, Radio- und Fernsehanschlüsse bedingten häufigeren Verbindungen und manchmal sogar Verknüpfungen mit der Außenwelt haben dazu geführt, daß die Bevölkerung der Gemeinde heute aufgeschlossener, weltoffener und lebensgewandter geworden ist. Die nach dem Krieg heimgekehrten Männer der Gemeinde, die im Alter zwischen 17 und 50 Jahren über alle Länder Europas zerstreut mancherlei erlebt und erlitten hatten, haben diese Entwicklung nur gefördert und beschleunigt. Somit kann man nur feststellen: Thüle hat nach dem zweiten Weltkrieg auf vielen Gebieten eine Entwicklung genommen, die durchaus eine Verbesserung gegenüber der Vorkriegszeit darstellt.


 

Aufrichtigen Dank

sagen wir allen, die mitgeholfen haben, diese unsere Festschrift zu ermöglichen. Einige wenige haben hieran ein ganz besonderes Verdienst. Die Schützenbrüder Josef Eikel, Klemens Sonntag, sowie Kurt Sonntag haben in mühseliger Kleinarbeit viele Stunden und Tage geopfert, um wertvolles Schrifttum in dieses Buch zu bringen.

Den in diesem Buch veröffentlichten Berichten aus der Thüler Geschichte liegen, soweit es sich nicht um mündliche Überlieferungen handelt, folgende Quellen zugrunde:

  1. Die Thüler Pfarrchronik
  2. Die Thüler Gemeindedironik
  3. Die Chronik der Thüler Volksschule
  4. Die Chronik des Thüler Schützenvereins
  5. Das Heimatbuch des Kreises Büren vom Jahre 1930
  6. Die der Volksschule zu Thüle zur Verfügung gestellten Ausarbeitungen zur Thüler Geschichte von Oberstudienrat Dr. Josef Tönsmeier
  7. Urkunden des katholischen Pfarramtes Thüle
  8. Von Freiherr v. Ketteler zur Verfügung gestellten amtlichen Unterlagen des Hauses Thüle

 

Allen werten Firmen und Geschäftsinhabern

die uns durch Aufgabe von Inseraten das Erscheinen dieser Festschrift mit ermöglichten, sprechen wir ebenfalls an dieser Stelle den herzlichsten Dank aus und empfehlen den Mitgliedern und Festbesuchern, bei vorkommendem Bedarf die inserierenden Firmen und Geschäftsleute besonders zu berücksichtigen.


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